Was bedeutet Neurodiversität?

Ist mein Kind ein Schreibaby? Baby schreit ständig -gefuehlvolle_Familien

Die Faszination der Neurodiversität

 

Eine Reise in die Vielfalt des menschlichen Gehirns

 

Die Welt der Neurodiversität eröffnet uns nicht nur Türen, sondern gewährt uns auch einen faszinierenden Einblick in die individuellen Facetten des menschlichen Gehirns. In diesem  Beitrag wollen wir uns etwas ausführlicher mit dieser Welt auseinandersetzen und die verschiedenen Konzepte, die dazu zählen, genauer betrachten. Insbesondere werde ich, Sabrina, auf die Hochsensibilität eingehen, da ich selbst und schätzungsweise auch mein Kind hochsensibel sind. Ich, Sofie werde mich eingehender mit dem Thema ADHS beschäftigen, da sie selbst den Verdacht habe, ADHS zu haben.

 

Was ist Neurodiversität?

 

Der Begriff „Neurodiversität“ wurde erstmals Ende der 90er Jahre im Rahmen der gleichnamigen Bewegung geprägt und ist eng mit der australischen Sozialwissenschaftlerin Judy Singer verbunden. Jedes Gehirn ist einzigartig, genauso wie jeder Mensch. Die Neurodiversität beschreibt den Ansatz, dass es keinen einzigen neurobiologischen Bauplan geben sollte, der als Norm gelten müsste. Stattdessen existieren zahlreiche Varianten von Gehirnen, unterschiedlich verdrahtet und geschaltet. Diese Unterschiede führen zu individuellen Entwicklungen, Wahrnehmungen und Kommunikationsstilen. Menschen, deren Entwicklung von den konventionellen Normen abweicht, werden als neurodivers oder neurodivergent bezeichnet. Jene, die diesen Normen entsprechen, gelten als neurotypisch.

 

So betrachtet jeder Mensch die Welt durch seine eigenen Augen und nimmt sie auf seine ganz individuelle Art und Weise wahr, ohne dass diese Perspektive als falsch oder richtig, normal oder unnormal betrachtet werden sollte.

 

Doch was zählt nun alles zum Konzept der Neurodiversität? Hierbei herrscht in der Gesellschaft noch keine Einigkeit, da das Thema vergleichsweise neu und noch nicht vollständig erforscht ist. Dennoch tauchen einige Begriffe regelmäßig auf:

 

  1. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit Hyperaktivitätsstörung)
  2. ASS (Autismus-Spektrumsstörung)
  3. Dyslexie (Lese-Rechtschreibstörung / Legasthenie)
  4. Dyskalkulie (Rechenstörung)
  5. SMS (Sensorische Modulationsstörung)
  6. Dyspraxie (Entwicklungsstörung/ Lernschwäche)
  7. Hochbegabung
  8. Hochsensibilität
  9. Tourette-Syndrom
  10. Synästhesie

 

Wichtig ist zu beachten, dass diese Diversitäten nicht strikt voneinander getrennt sind. Kreuzungen wie Synästhesie und Hochbegabung oder Dyskalkulie und Legasthenie sind möglich und nicht ungewöhnlich. Studien haben gezeigt, dass bis zu 80% der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung auch ADHS haben. Ebenso haben bis zu 50% der Kinder mit ADHS auch eine Autismus-Spektrum-Störung. Diese Zusammenhänge legen nahe, dass genetische Verbindungen zwischen den verschiedenen neurologischen Variationen existieren könnten.

Eine zusätzliche Herausforderung besteht darin, dass Hochsensibilität, AD(H)S und Autismus ähnliche Symptome aufweisen können, was zu falschen Diagnosen, insbesondere bei Kindern, führen kann.

Es ist wichtig zu betonen, dass Neurodiversität grundsätzlich erstmal keine Krankheit ist, sondern eine besondere Form der Reizverarbeitung. Dennoch sind genaue Diagnosen, wie sie bei AD(H)S erforderlich sind, und das Verständnis oft entscheidend, um die individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen zu erkennen und zu verstehen.

 

Hochsensibilität: Eine einzigartige Dimension der Neurodiversität

 

Die von der US-amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron geprägte Hochsensibilität bringt eine einzigartige Dimension in die Welt der Neurodiversität. Etwa 15-20% der Weltbevölkerung werden als hochsensibel geschätzt. Diese Menschen erleben die Welt um sich herum besonders intensiv, mit feinen Antennen für Stimmungen, einer besonderen Aufmerksamkeit für Details und einer empfindlichen Reaktion auf tägliche Reize.

Die Merkmale der Hochsensibilität umfassen eine niedrige Schmerzschwelle, intensives Träumen, ein starkes Geruchsempfinden, ein besonderes Maß an Empathie, ein Streben nach Perfektion, eine äußerst selbstkritische Natur, Schreckhaftigkeit, ein starkes Gerechtigkeitsempfinden, ein hohes Schlafbedürfnis sowie eine erhöhte Aufnahmebereitschaft für Umwelteinflüsse.

Da es sich bei der Hochsensibilität nicht um ein Krankheitsbild handelt, sondern, wie bereits erwähnt, um eine besondere Form der Reizverarbeitung, gibt es hier keine klare Diagnose. Dennoch können Tests Aufschluss darüber geben und hilfreich sein, um eine mögliche Hochsensibilität für sich selbst oder seine Kinder zu erschließen.

 

Sabrina:

Ich selbst erlebe die Hochsensibilität bei mir persönlich als hilfreich und schön, aber hin und wieder auch als Belastung, vor allem was Lautstärke, Menschenmengen und Licht betrifft. Mir war bis vor einigen Monaten gar nicht bewusst, dass andere Menschen um mich herum, die Welt nicht so wahrnehmen wie ich. Dinge nicht sehen oder spüren können wie ich dies tue. Was natürlich hin und wieder auch mit Frustration verbunden war, weil ich nicht verstehen konnte, wie man z.B. nicht wahrnehmen kann, wenn es einem anderen Menschen gar nicht gut geht, oder sich dessen Stimmung oder Mimik plötzlich verändert. Ich nehme oft feine, kleine Nuancen an Veränderungen bei Menschen und Situationen wahr. Ich habe ein Gespür dafür wie es anderen Menschen wirklich geht und sauge deren Gefühlslage und Emotionen fast schon auf. Oft übertragen sich diese Gefühle auch auf mich z.B., wenn jemand weint oder sehr nervös ist. Selbstregulierung ist an dieser Stelle sehr wichtig für mich. All diese Merkmale haben ihre schönen aber auch ihre negativen Seiten, da es mir sehr schwer fällt die verschiedenen Gefühle der anderen zu verstehen und nicht auf mich zu projizieren. Aber ich bin auch dankbar für diese „Gabe“, da es mir hilft, anderen zu helfen und sie besser zu verstehen.

 

Bei meinem Kind empfinde ich die Hochsensibilität in diesem Alter noch als eher schwierig, da mein Kind sich von dieser Reizüberflutung selbst noch nicht schützen, geschweige diese ein- oder zuordnen kann. Aber es wird immer mehr dafür getan, das vor allem Kinder dies bezüglich mehr Unterstützung und Verständnis erhalten, da dieses Thema immer mehr Aufmerksamkeit bekommt und somit mehr Aufklärung stattfindet, bei Eltern sowie Fachpersonal etc.

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Unter www.gefuehlvolle-familien.de findet man z.B. Tests für Kinder und Babys, welche ganz einfach und schnell durchgeführt werden können.

 

 

AD(H)S: Eine Herausforderung der Aufmerksamkeit und Hyperaktivität

 

Sofie:

ADHS war nie ein Thema für mich. Nachdem ich mich aber mehr mit Neurodiversität und in diesem Zusammenhang auch mit AD(H)S beschäftigt habe ist mir aufgefallen, dass sehr viele Parallelen zu ADS und mir bestehen.  Es gibt also nicht nur ADHS, sondern auch ADS und dies bedeutet, dass auch in sich gekehrte Personen, ruhigere Personen, verträumte Personen eine Symptomatik mit ADHS haben. Die Erkenntnis, dass mein Denken von Grund auf anders ist, als das der meisten Menschen, begleitet mich schon seit jeher. Ich hatte schon immer das Gefühl anders zu sein als andere. Komplizierter zu denken und verträumter zu sein. Auch mein Gemütszustand schwankt oft von einer Emotion in die nächste. Mal geht es mir gut, mal weniger gut, und oft entsteht scheinbar aus dem Nichts ein völliges Gefühlschaos. Zudem habe ich festgestellt, dass meine Wahrnehmung von Dingen und Situationen sich von der anderer oft unterscheidet. Und, dass ich Dinge einfach anders da sehe als viele andere Menschen denen ich begegne und mit denen ich mich unterhalte. Dies hat mich zum Nachdenken gebracht. Aufgrund dieser Erkenntnisse und den Recherchen die ich zu diesem Thema betrieben hatte, entschied ich mich dafür, einen Online-Test für AD(H)S durchzuführen, dessen Ergebnisse zu meinem Erstaunen tatsächlich positiv ausfiel. Mein nächster Schritt war es, daraufhin einen Arzt zur Rate zu ziehen, um mit ihm das weitere Vorgehen etc. zu besprechen. Hier stellte sich heraus, dass es für einen offiziellen AD(H)S Test bedauerlicherweise lange Wartezeiten von mehreren Monaten gibt, was für Betroffene natürlich eine Zeit voller Ungewissheit bedeutet. Aber ich hoffe auf eine eventuelle Diagnose auch um etwas mehr Klarheit und Sicherheit in mein Denken zu bekommen, auch wenn dies noch ein langer Weg ist.

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AD(H)S, oder auch Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, zeigt sich in verschiedenen Subgruppen, darunter Hyperaktivität, Impulsivität und/oder Unaufmerksamkeit. Der Weg zur Diagnose kann langwierig sein und beinhaltet Screenings, Selbstberichte, Verhaltensbeobachtung, Fremdberichte, körpermedizinische Diagnostik, neuropsychologische Testungen und Differentialdiagnostik.

Die Unterschiede in der Diagnose bei Jungen und Mädchen zeigen eine weitere Facette der Neurodiversität. Mädchen erhalten die Diagnose oft erst ab dem 6. Lebensjahr und werden eher als vorwiegend unaufmerksam eingestuft. Bei Jungen erfolgt die Diagnose ebenfalls um das 6. Lebensjahr, wobei eher impulsiv-hyperaktive Merkmale im Vordergrund stehen.

Weltweit sind etwa 6% der Kinder und Jugendlichen von AD(H)S betroffen. Bei Erwachsenen wird die Diagnose meist im höheren Alter gestellt, die Symptome können schwächer werden oder sich verändern. Etwa 2,5% der erwachsenen Weltbevölkerung hat  AD(H)S, wobei 15% noch immer ausgeprägte Symptome aufweisen, die oft von Begleiterkrankungen begleitet werden.

 

 

 

Der Weg zu Akzeptanz und Feiern der Neurodiversität

 

Trotz der wachsenden Aufmerksamkeit für neurodivergente Variationen gibt es immer noch erhebliche Herausforderungen. Ein Mangel an Aufklärung und Wissen bei Ärzten, Lehrern und Betreuern führt zu Verzögerungen in der Diagnose und unterstützenden Maßnahmen. Die Diagnostik sollte schneller und besser angepasst werden, um den vielfältigen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Vorurteile gegenüber neurodivergenten Menschen sind immer noch weit verbreitet. Die Bezeichnung „Neurodiversität“ kann für viele Betroffene eine gute Alternative zur Diagnose sein. Die Welt der Neurodiversität ist komplex und reich an Vielfalt. Es ist an der Zeit, diese Vielfalt zu akzeptieren, zu verstehen und zu feiern. Die Stärken und Fähigkeiten neurodivergenter Menschen bereichern unsere Gesellschaft und tragen zu einer Welt bei, die nicht nur toleranter, sondern auch inklusiver ist. Es ist an der Zeit, die Einzigartigkeit unserer Gehirne zu erkennen und die Schönheit der Neurodiversität zu feiern.

 

Eine Vision für die Zukunft: Mehr Verständnis und Akzeptanz für die Vielfalt des menschlichen Denkens

 

Die Reise durch die Welt der Neurodiversität sollte nicht nur eine momentane Auseinandersetzung sein, sondern auch eine Vision für die Zukunft beinhalten. Eine Welt, in der das Verständnis für unterschiedliche Denkweisen und Wahrnehmungen gefördert wird, ist eine Welt, die von Akzeptanz und Inklusion geprägt ist.

Um diese Vision zu verwirklichen, müssen wir uns als Gesellschaft intensiver mit dem Thema Neurodiversität auseinandersetzen. Das bedeutet, nicht nur die Herausforderungen zu erkennen, sondern auch die Potenziale und Stärken, die neurodivergente Menschen mitbringen, zu würdigen. Bildungseinrichtungen, Arbeitsplätze und öffentliche Einrichtungen sollten Umgebungen schaffen, die die Vielfalt des menschlichen Denkens unterstützen.

Eine entscheidende Rolle spielen dabei Aufklärung und Sensibilisierung. Ärzte, Lehrer, Arbeitgeber und die Gesellschaft als Ganzes sollten besser informiert sein, um frühzeitig unterstützen zu können und Vorurteilen entgegenzuwirken. Indem wir die Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes Einzelnen verstehen, können wir ein Umfeld schaffen, in dem alle Menschen, unabhängig von ihrer neurologischen Diversität, ihr volles Potenzial entfalten können.

Es ist an der Zeit, die Neurodiversität nicht nur als Herausforderung, sondern als Bereicherung zu sehen. Die unterschiedlichen Denkweisen, Kreativität und Perspektiven, die neurodivergente Menschen einbringen, tragen dazu bei, unsere Welt vielfältiger und innovativer zu gestalten. Die Zukunft, die wir anstreben sollten, ist eine, in der jeder Mensch, unabhängig von seiner neurologischen Veranlagung, respektiert, geschätzt und unterstützt wird.

 

Möchtest Du noch mehr zu diesem Thema erfahren? In unserem Mitgliederbereich findest Du die Aufzeichnung von einem Expertentalk mit dem Thema „Neurodiversität“ mit der Kinder- und Jungendlichenpsychotherapeutin Hilal Virit,
Hier kommst du zur Anmeldung.

 

 

Verfasserinnen:

 

 

 

 

 

 

 

Sofie Postels (gefühlvolle Familienbegleiterin)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sabrina Jacobs (gefühlvolle Familienbegleiterin) https://www.familienbeduerfnisse.de/

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